Simsalabim

Ich liebe das Hotelfrühstück. Zunächst einmal esse ich gern. Dann hat Oma immer gesagt, „das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit am Tag, Kinder! Ohne Frühstück geht mir keiner aus dem Haus!“ Es ist wunderbar luxuriös, aus der Menge dargebotener Köstlichkeiten die Leckerste auswählen zu dürfen. Und schließlich sieht man die anderen Hotelgäste, die die Herberge mit einem teilen, und kann sie beobachten. 

Zum Beispiel die etwas ausgeflippte junge Familie links von mir. Seine Weihnachtskrawatte geht ja noch. Aber muss sie wirklich dieses komische Elchgeweih tragen, und den grünroten Pullover, auf dem „Ho-ho-ho“ zu lesen ist? Sogar auf den Maxi Cosi 2000, in dem ein Baby schnarcht, haben sie Bäpper mit weihnachtlichen Motiven geklebt, wollen wir hoffen, dass die wieder abgehen, nach dem Fest! 

Ein kleiner blonder Junge sitzt wie unbeteiligt am Tisch. Sechs oder sieben wird er sein. Lustlos stochert er in der kleinen Cerealienschüssel herum, wobei ihm der Zipfel seiner Weihnachtsmann-Mütze gelegentlich in die Milch gerät. Plötzlich legt er den Löffel weg und beginnt, kristallen aus dem Hals zu singen. 

„Auf einem Baum ein Ku-hu-ckuck, simbabim lala du bum bum ...“ Er kann nur diese Zeile, und wiederholt sie einige Male. So zwei-, dreihundert Mal, glaube ich.

Die Mutter greift ein. „Bimbalabim, heißt das, Liebling! Bimbalabim!“
„Quatsch!“, ruft der Erziehungsberechtigte, „jetzt bring dem Kind doch nicht so falsche Sachen bei! ‚Simsalabim dam dam, natürlich!“

„... da kam ein junger Jä-hä-ger!“, stimmt der ältere Herr vom Nebentisch zackig ein. „Jawollja! Ausrotten, das Viehzeugs! Kuckucks! Alles Arschlöcher! Ausrotten, sag ich! Mit Stumpf und Stiel!“
„Also hören Sie mal“, empört sich der dünne blasse Junge in seinem Jute-Hemd, der die Servierkraft vorhin lautstark um einen veganen Brotaufstrich für sein mitgebrachtes Dinkel-Hanf-Brot gebeten hatte, einen Tisch weiter. „Wenn man den Kindern jetzt nicht Respekt vor der Natur beibringt, wann denn dann? Aber davon versteht ihr Allesfresser ja nichts!“

Ein durchgeistigter Herr lächelt mild und hebt die Hände wie zum Segen. „Vor der Natur, mein Sohn, und vor Gottes Schöpfung, die er uns Menschen so wunderbar zum Geschenk machte, auf dass wir sie gerecht verwalten mögen, Halleluja! Hat den nicht auch dieser Kuckuck ein Anrecht auf das größte Wunder - das Leben?“

„Gestatten Sie mir als  Pädagogen ein Wort?“ Ein Herr in einem wirklich schlecht sitzenden, abgeschabten Tweed-Anzug meldet sich da. „Was haben Sie da gesagt? KuckuckS? Da beschäftigen Sie sich doch wohl mal besser mit Ihrer Muttersprache, mein Herr, bevor sie hier grammatisch fehlerhafte Informationen in die Runde streuen. KuckuckE, heißt das, nachzulesen im Duden, 27. Auflage 2017, erschienen im Verlag Bibliografisches Institut, Berlin Alt-Treptow.“

Die wackere Rentnerin von schräg gegenüber hat eben die Schnürsenkel ihrer Wanderschuhe festgezogen und ruft in die muntere Runde.
„Entschuldigung, mein Gatte ist Hobby-Ornithologe und meinte gerade, dass es sich bei besagtem Vogel gar nicht um einen Cuculus clamosus, sondern um einen Häherkuckuck, einen Clamator glandaris, gehandelt haben muss.“

Der kleine Junge mit der roten Zipfelmütze bleibt unbeeindruckt. 
„Auf einem Baum ein Ku-hu-ckuck, simbabim lala du bum bum ...“

Mich zerreißt es schier. Natürlich muss es ‚Simsalabim-bamba-saladu-saladim‘ heißen. Also 
Auf einem Baum ein Kuckuck, –
Simsalabim, bamba, saladu, saladim 
Auf einem Baum ein Kuckuck saß.

Da kam ein junger Jäger, –
Simsalabim, bamba, saladu, saladim 
Da kam ein junger Jägersmann.

Der schoss den armen Kuckuck, –
Simsalabim, bamba, saladu, saladim 
Der schoss den armen Kuckuck tot.

Innerlich singt es in mir weiter. Und als ein Jahr verga-han-gen, Simsalabim bamba saladu saladim! Na wunderbar! Jetzt kriege ich es nicht mehr aus meinem Kopf! 
Einfach an was anderes denken. Die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten, zum Beispiel. Wir reden zu wenig miteinander. Viel zu wenig. 
Simsalabim bamba saladu saladim. 

HILFE! Ich brauche HILFE!